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Frequently Asked Question

Fach-Information: Für Mitarbeitende, die auf Seilgärten arbeiten sowie Verantwortliche, die Seilgärten betreiben.
Unsere Zusammenfassung zu 'Toprope- und Fremdsicherungssystemen im Seilgarten' versteht sich als eine allgemeine, von den Standards bzw. Normen her betrachtende Sichtweise, die die Diskussion und Weiterentwicklung anregen soll. Außerdem sollen ergänzende Hinweise zu den ERCA-Standards gegeben und aktuellere Bezüge hergestellt werden, gerade weil die Diskussion um Sicherungsgeräte auch beim Sport- und Hallenklettern derzeit sehr aktiv betrieben wird.

Vorbemerkungen:
  • a) In dieser Diskussion beziehen wir uns auf die Anwendung des Toprope-Kletterns in Seilgärten, welches in der EN15567 (umgangssprachlich: ´Seilgartennorm`) unter die ´Fremdsicherungssysteme´ eingeordnet wird.
  • b) Wir möchten um Verständnis werben, dass wir generell keine konkreten Empfehlungen für spezifische Produkte oder die Produktverwendung von Sicherungsmitteln oder -Methoden an einem uns unbekannten Standort machen können bzw. wollen. Dies lässt sich aus der Ferne einfach nicht beurteilen und muss ganz konkret nach einer genauen Situations- und Gefahrenanalyse vor Ort geplant und entschieden werden.

1) ERCA-Standards und Seilgartennorm EN15567
Sowohl in den ERCA-Standards als auch in der EN15567 wird weder explizit auf bestimmte Sicherungsgeräte verwiesen noch eine nähere Spezifikation vorgenommen.
Aber,
beide geben vor, dass man der Situation und den Gefahren angemessene Sicherungsmethoden auswählen soll/muss, um den Schutz der Teilnehmer zu gewährleisten.

So heißt es konkret ...
... in den ERCA-Betreibungsstandards: „Sichern ist der Gebrauch eines geeigneten Systems (z.B. Seil, Gurt, Helm) auf einem RC (Anm. des Verfassers: RC = Abk. für Seilgarten), um einen angemessenen Schutz für die Teilnehmer zu gewährleisten“ (ERCA-Standards -III- A.9. Sichern). Sowie „Sicherungsgeräte müssen der DIN bzw. EN entsprechen und nach Herstellerangaben eingesetzt werden. (...)“ (ERCA-Standards -III- E.9. Sicherungsgeräte).

... in der EN15567-2:2015, Teil 2, Einleitung (Seilgärten – Anforderungen an den Betrieb): „Die Betreiber sollten auf Grundlage einer Risikobewertung angemessene und praktische Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Teilnehmer und Mitarbeiter sicherzustellen. Dies bedeutet, dass die Höhe des Risikos bei einer bestimmten Betätigung/ an einem Arbeitsplatz/ auf einer Anlage gegenüber Zeit, Aufwand, Kosten, Nutzen und physischer Erschwernis beim Ergreifen von Maßnahmen zur Vermeidung oder Minderung des Risikos abgewogen werden muss. Es wird berücksichtigt, dass die Anwendung jeder Bestimmung dieser Norm möglicherweise nicht unter allen Umständen angemessen ist. Jede Abweichung von der Norm sollte gleichviel oder mehr Sicherheit bereitstellen. Bei einer Abweichung von der Norm sollte eine schriftliche Risikobeurteilung bereitgestellt werden, die die Begründung für die Abweichung enthält. Betreiber von Seilgärten sollten bei der Durchführung von Risikobewertungen auch EN15567-1 berücksichtigen".


2) Gefährdungsermittlung
Diese Vorgehensweise ist in der Praxis ja nichts Außergewöhnliches und wurde wahlweise schon vom Erbauer der Anlage festgelegt und im Betriebsmanual übergeben (siehe auch 5) oder vom Betreiber selbst in einem Dreischritt ähnlich „Situationsanalyse - Gefährdungsbeurteilung – Betriebs-/Handlungsanweisung (oder auch: SOP - Standard Operating Procedure)“ entwickelt und festgeschrieben. Ein Muster-Raster für die Verschriftlichung einer Gefährdungsermittlung ist hier zu finden: Risk-Assessment-Tool (nur für ERCA-Mitglieder verfügbar)

Sowie einige Praxis-Beispiele zu Rettungssituationen in der ERCA-Rettungsempfehlung (nur für ERCA-Mitglieder verfügbar).
Bei der Analyse, Beurteilung und Festschreibung von Betriebs-/Handlungsanweisungen zum Topropesichern im Seilgarten sollte man folgende Faktoren mindestens berücksichtigen (diese Liste ist nicht abschließend zu verstehen):
  • a. Potenzial für Fehlerquellen durch die Bedienung eines Sicherungsgerätes sowie Maßnahmen, um diese zu reduzieren (am Beispiel der Toprope-Sicherung z.B. ´Fehler beim Bremshandprinzip´ und als mögliche Maßnahme ´Hintersicherung des Sichernden´, siehe auch 4.a unten, `Verwendung eines selbstblockierenden Gerätes´ oder beides (=sicherste Variante))
     
  • b. Potenzial für Fehlerquellen, die auf das Material selbst zurückzuführen sind sowie Maßnahmen um diese zu reduzieren (am Beispiel der Toprope-Sicherung z.B. ´Fehler: unbeabsichtigtes Aushängen des Sicherungsseils aus einem Karabiner´ und als mögliche Maßnahme ´Verwendung von Karabinern mit spezieller Verschlusssicherung´)
     
  • c. Örtliche Situation: Aufbau der Anlage, Sicherungssituationen, Lage und Konstruktion der Toprope-Punkte (z.B. Pendelwirkung, Seilumlenkung, bewegliche Umlenkpunkte, Lastreduzierung im Umlenkpunkt, ...), Wer sichert (unerfahrene Teilnehmer, geschulte Betreuer, ...)?, Höhe der Elemente in Zusammenspiel mit den verwendeten Seilen (Seildehnung), Fallfreiräume und Hindernisse, ...
     
  • d. Ausbildung und Schulung der Sicherungspersonen, die die Sicherungsgeräte bedienen bzw. der Anleiter, die Gruppen beim Sichern beaufsichtigen
     
  • e. Aspekte und Gefahrabwägungen, die mit einem Wechsel des vorhandenen Sicherungssystems auf ein neues Sicherungssystem verbunden wären (siehe auch 3.d)
     
  • f. eigene Statistiken und Dokumentationen, die stichhaltige Nachweise dazu liefern, wie verlässlich das eingesetzte Sicherungssystem vor Gefahren schützt. (Als stichhaltig könnte man eine solche Sammlung wohl bezeichnen, wenn wirklich alle fehlerfreien Vorgänge sowie alle Fehler und Beinahe-Fehler dauerhaft über einen langen Zeitraum erfasst und ausgewertet würden.)
     
  • g. Berücksichtigung von ´best practices´ zum Toprope-Sichern, und hier insbesondere auch die Erkenntnisse aus den gut erforschten und artverwandten Handlungsfeldern wie z.B. dem Sport- oder Hallenklettern (Da es sich bei Seilgärten – im Gegensatz zur Eigenwahrnehmung unserer Branche – um eine sehr spezielle und vergleichsweise seltene Nischenanwendung bergsportlicher (und anderer) Techniken handelt, ist eine Orientierung an bedeutenderen Anwendungsbereichen sinnvoll. Dies gilt insbesondere für Fragestellungen, die in unserer Branche bisher nur wenig oder überhaupt nicht beforscht wurden (wie z.B. die Toprope-Sicherung).

3) Benchmarking
In den vergangenen Jahren hat sich viel getan und die Lektüre z.B. des Artikels `Sicherungsgeräte im Vergleich´ (SEMMEL, Chris in bergundsteigen.at 2/2013, S. 58-64) kann, bei der Festlegung von Betriebs-/Handlungsanweisungen für Sicherungsprozeduren, bestimmt hilfreiche Tips über Vor- und Nachteile von Sicherungsgeräten geben. Wenn es um die Anwendung von Geräten geht, ist die sog. ´Kletterhallen-Studie´ ebenfalls lesenswert und kann helfen, die selbst eingesetzten Sicherungstechniken zu reflektieren oder ´unter die Lupe zu nehmen´ (veröffentlicht unter dem Titel ´Homo verticalis indoorensis´ in bergundsteigen.at Teil 1 im Heft 4/2012 und Teil 2 im Heft 1/2013). Im Archiv der „bergundsteigen“ finden sich zahlreiche weitere Betrachtungen zu diesem Thema – die meisten sind sehr lesenswert und von Relevanz für Seilgärten mit Fremdsicherungssystemen.

Einige Fazits aus o.g. Artikeln unterstreichen, dass ...
  • a. ... jedes Sicherungsgerät fehlbedient werden kann. Das „perfekte Gerät“ gibt es nicht.
  • b. ... Bedienungsanleitungen in Form von Text und Zeichnungen nicht ausreichen und praktische Schulung und Übung unerlässlich sind.
  • c. ... es einen technischen Fortschritt gibt, der nicht ignoriert werden sollte.
  • d. ... Vorsicht geboten ist, wenn man von einem gewohnten auf ein neues Sicherungsgerät wechseln möchte. Erst schulen, dann unter Aufsicht und mit ´Hintersicherung´ trainieren, bevor man das Gerät im ´Ernst-Fall´einsetzt. Gerade wenn es sich nicht um Privatgebrauch handelt, sondern man so einen Wechsel systematisch hundertfach im Seilgartenbetrieb mit wechselnden Akteuren implementieren möchte, ist hohe Aufmerksamkeit, Weitsicht und Wachsamkeit geboten. Gleichwohl ist bei einem Wechsel auf ein fortschrittlicheres, sichereres System (vgl. c.) ein solcher Aufwand gerechtfertigt.
  • e. ... ´Halbautomaten´ (insbesondere paniksichere Geräte) grundsätzlich eine Sicherheits-´Reserve` darstellen können, um z.B. Fehler beim `Bremshand-Prinzip´ oder andere menschliche Fehler zu kompensieren.
  • f. ... bestimmte Sicherheits-Handlungen – sofern sie routinemäßig ausgeführt werden – das Vorkommen menschlicher oder technischer Fehler zu reduzieren helfen (z.B. der Partner-Check, der im Seilgarten z.T. als 4-Augen-Check bekannt ist oder Ähnliche).

4) Spezielle Anforderungen für den Bereich der Seilgärten
  • a. Im ERCA-Ausbildungsstandard (Kap. VII B.2.3 Sicherungstechniken, Stand Frühjahr 2005) wird die `Sicherung der Sichernden´ (auch ´Hintersicherung´ genannt) erläutert, die eine solche routinemäßige Sicherheits-Handlung (s. letzter Spieglstrich im vorherigen Abschnitt 3) sein könnte: „(...) Beim vertikalen Aufstieg auf ein Element wird das Topropesicherungssystem mit fixierter Umlenkung verwendet. (...) Die Achter-, HMS-, Bremsplatten- oder GriGri-Sicherung (Anm. des Verfassers: heute ist die Aufzählung dieser Geräte natürlich nicht mehr als vollständig zu bezeichnen – hier hat sich seit Formulierung der Standards viel getan) erfolgt immer durch einen Trainer oder mit mindestens zwei Teilnehmer. Dabei ist der Sicherer immer durch mindestens einen Teilnehmer am Bremsseil zu hintersichern. Mit Hintersicherung wird das zusätzliche Halten des Bremsseiles durch einen weiteren TN hinter dem Sichernden bezeichnet. (...)“. Die Verlässlichkeit der Hintersicherung kann gesteigert werden, wenn der Hintersichernde das Seil nicht nur festhält, sondern „Luftmaschen“ in den Seil knüpft (bzw. diese beim Ablassen wieder löst) oder mittels Prusik mit dem Sicherungsseil verbunden ist. Bei diesen Techniken ist jedoch noch genauer als sonst auf mögliche Schlappseilbildung zu achten.

    Auf andere Anwendungen wie Rettung und Arbeiten in der Höhe (also z.B. Seilgartenbau) gehen wir an dieser Stelle nicht näher ein. Für alle Belange zur Rettung gibt die ERCA-Rettungsempfehlung viele nützliche Informationen.
     
  • b. In der EN15567 werden vorrangig die Sicherungssysteme (EN15567-1:2015, Kap. 4.3.5) definiert. Die Toprope-Sicherung fällt unter die Fremdsicherungssysteme, zu denen die Methoden nicht weiter erläutert werden: ''Fremdsicherungssystem: hierbei müssen die Teilnehmer einen Auffanggurt tragen, der an einem Seil befestigt ist, das von einer oder mehreren Personen durch geeignete Techniken gesichert wird. Fremdsicherungssysteme müssen die relevanten Abschnitte der Europäischen PSA-Normen befolgen'' (EN15567-1:2015, Kap. 4.3.5.1 Abschnitt c). Lediglich der Betreuungsschlüssel wird in EN15567-2:2015 Kap. 9.4 definiert mit: „Es muss mindestens ein Betreuer für vier Teilnehmer (in der Höhe) vorhanden sein. In solchen Fällen müssen die sichernden Personen unter einer Beaufsichtigung der Stufe 1 (Definition Beaufsichtigung Stufe 1 nach prEN15567-2:2015 Kap. 3.5: „Zustand, in der ein Betreuer physisch eingreifen kann, um die fehlerhafte Verwendung eines Einzelsicherungssystems zu verhindern, die zum signifikanten Risiko einer ernsthaften Verletzung oder zum Tod führen kann.“) durch den Betreuer stehen.“

5) Vorgaben durch den Erbauer beachten und zeitgemäß anpassen
Der Erbauer der Hochseilgartenanlage sollte nach EN15567-1:2020 Kap. 8.2 ein ''Benutzerhandbuch für Betreiber'' zur Verfügung gestellt haben, in dem eine ''Beschreibung und Eigenschaften der persönlichen Schutzausrüstung (...)'' (vgl. EN15567-1:2020 Anhang B aufgeführt sind. Dort sollte auch dokumentiert sein, wie die Fremdsicherung ('Topropesicherung') ausgeführt werden soll. Liegt solch ein Manual nicht vor oder ist ein Anwendungsbereich nicht beschrieben, so sollte man einen Vorschlag ausarbeiten (mit Beratung des Erbauers bzw. Sachkundigen oder selbst als Betreiber) und wenn möglich diesen Vorschlag vom Erbauer (schriftlich) bestätigen lassen und ihn in das 'Seilgartenmanual' aufnehmen. Dabei sollte man beschreiben, aufgrund welcher Bewertung man sich für das Sicherungssystem oder dessen Modifikation entschieden hat, was der Sicherheitsgewinn ist und wie die Anwendung, Überprüfung und Einweisung zu erfolgen hat.

Ein Seilgartenmanual darf nicht als statisches Dokument verstanden werden. Änderungen werden immer dann notwendig, wenn kritische Ereignisse (Unfälle, Beinahe-Unfälle, andere Vorkommnisse) eintreten bzw. sich häufen (siehe 2.f) oder sich neue Standards in der Branche durchsetzen (siehe 3).

 
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